Aktuelle Informationen2018-02-26T13:29:37+00:00

 

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Keine Steuerhinterziehung bei Kenntnis des Finanzamts

Der 4. Senat des Finanz­ge­richts Müns­ter hat ent­schie­den, dass kein objek­ti­ver Ver­kür­zungs­tat­be­stand vor­liegt, wenn pflicht­wid­rig kei­ne Steuererklärung abge­ge­ben wird, dem Finanz­amt aber alle erfor­der­li­chen Infor­ma­tio­nen in Form elek­tro­ni­scher Lohn­steu­er­be­schei­ni­gun­gen vorliegen.

Die Kläger sind zusam­men­ver­an­lag­te Ehe­leu­te. Da bis einschließlich 2008 ledig­lich der Ehe­mann Arbeits­lohn bezog, hat­te das Finanz­amt den Fall als Antrags­ver­an­la­gung gespei­chert. Ab 2009 erziel­te auch die Ehe­frau Ein­künf­te aus nicht selbstständiger Arbeit. Der Lohn­steu­er­ab­zug erfolg­te bei den Klägern nach den Steu­er­klas­sen III und V. Die elek­tro­ni­schen Lohn­steu­er­be­schei­ni­gun­gen wur­den im Daten­ver­ar­bei­tungs­pro­gramm des Finanz­amts unter der Steu­er­num­mer der Kläger erfasst. Da der Fall den­noch wei­ter­hin als Antrags­ver­an­la­gung gespei­chert war, for­der­te das Finanz­amt die Kläger zunächst nicht zur Abga­be von Einkommensteuererklärungen auf und die Kläger gaben auch kei­ne Erklärungen ab.

Nach­dem dem Finanz­amt auf­ge­fal­len war, dass die Vor­aus­set­zun­gen für eine Pflicht­ver­an­la­gung vor­la­gen, erließ es im Jahr 2018 für die Streit­jah­re 2009 und 2010 Schätzungsbescheide. Hier­ge­gen mach­ten die Kläger gel­tend, dass Festsetzungsverjährung ein­ge­tre­ten sei. Das Finanz­amt ging dem­ge­genü­ber von einer verlängerten Fest­set­zungs­frist wegen voll­ende­ter Steu­er­hin­ter­zie­hung aus. Die Daten­ver­ar­bei­tungs­pro­gram­me der Finanz­ver­wal­tung hätten es in den Streit­jah­ren noch nicht ermöglicht, auf­grund der über­mit­tel­ten Lohn­steu­er­be­schei­ni­gun­gen auf das Vor­lie­gen einer Pflicht­ver­an­la­gung zu schließen. Eine manu­el­le Überprüfung sei auf­grund der Viel­zahl der ¤lle tatsächlich unmöglich gewe­sen. Im Übrigen hätten es die Kläger vorsätzlich unter­las­sen, Einkommensteuererklärungen abzugeben.

Der 4. Senat des Finanz­ge­richts Müns­ter hat der Kla­ge statt­ge­ge­ben. Bei Erlass der Beschei­de im Jahr 2018 sei für die Streit­jah­re 2009 und 2010 die reguläre Fest­set­zungs­frist von vier Jah­ren abge­lau­fen gewe­sen. Die Frist habe sich nicht auf zehn bzw. fünf Jah­re verlängert, weil bereits objek­tiv weder eine Steu­er­hin­ter­zie­hung noch eine leicht­fer­ti­ge Steu­er­ver­kür­zung vorliege.

Die Vor­aus­set­zung der vor­lie­gend allein in Betracht kom­men­den Unter­las­sungs­va­ri­an­te, dass der Steu­er­pflich­ti­ge die Finanzbehörden pflicht­wid­rig über steu­er­lich erheb­li­che Tat­sa­chen in Unkennt­nis las­se, sei nicht gege­ben. Die Finanzbehörde könne nur über sol­che Umstände in Unkennt­nis gelas­sen wer­den, über die sie nicht bereits infor­miert sei. Die­se Auf­fas­sung erge­be sich bereits aus dem Wort­laut des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO und sei auch vom Sinn und Zweck des Geset­zes, nämlich der Siche­rung des Steu­er­auf­kom­mens, gedeckt. Das Steu­er­auf­kom­men sei nicht gefährdet, wenn die Finanzbehörden tatsächlich über alle wesent­li­chen Umstände infor­miert sind.

Im Streit­fall sei­en die Kläger zwar ver­pflich­tet gewe­sen, Einkommensteuererklärungen ein­zu­rei­chen, weil sie Arbeits­lohn bezo­gen haben, der nach den Steu­er­klas­sen III und V lohn­ver­steu­ert wur­de. Allein die Ver­let­zung von Erklärungspflichten rei­che aber nicht aus, um den objek­ti­ven Ver­kür­zungs­tat­be­stand zu ver­wirk­li­chen, denn die Erfül­lung von steu­er­li­chen Mit­wir­kungs- und Erklärungspflichten sei nicht von § 370 AO geschützt. Dem Finanz­amt sei­en auf­grund der vor­lie­gen­den elek­tro­ni­schen Lohn­steu­er­be­schei­ni­gun­gen, die unter der Steu­er­num­mer der Kläger gespei­chert waren, viel­mehr alle maßgeblichen Umstände bekannt gewe­sen. Dass es die­se Daten aus verwaltungsökonomischen Grün­den nicht zur Prü­fung einer Pflicht­ver­an­la­gung her­an­ge­zo­gen habe, ändere an die­ser Kennt­nis nichts.

Der Senat hat die Revi­si­on zum Bun­des­fi­nanz­hof zuge­las­sen, da zu der strei­ti­gen Fra­ge noch kei­ne höchstrichterliche Recht­spre­chung vor­lie­ge. Die­se ist dort unter dem Az. VI R 14/22 anhängig.

FG Müns­ter, Mit­tei­lung vom 15.08.2022 zum Urteil 4 K 135/19 vom 24.06.2022 (nrkr – BFH-Az.: VI R 14/22)

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