Aktuelle Informationen2018-02-26T13:29:37+00:00

 

zurück

Tübingen darf keine Verpackungssteuer erheben: Das ist die Begründung

Der Ver­wal­tungs­ge­richts­hof Baden-Würt­tem­berg (VGH) hat mit Urteil vom 29. ¤rz 2022 die Ver­pa­ckungs­steu­er­sat­zung der Universitätsstadt Tü­bin­gen vom 30. Janu­ar 2020 für unwirk­sam erklärt. Inzwi­schen lie­gen die Urteils­grün­de vor. Das vollständige Urteil mit Grün­den ist den Betei­lig­ten am 13. April 2022 zuge­stellt worden.

Sach­ver­halt

Seit Janu­ar 2022 gilt in Tü­bin­gen eine Steu­er auf Ein­weg­ver­pa­ckun­gen. Ziel ist es, Ein­nah­men zum städtischen Haus­halt zu gene­rie­ren sowie die zuneh­men­de Ver­mül­lung des Stadt­bilds durch die im öffentlichen Raum ent­sorg­ten „to go“-Verpackungen zu ver­rin­gern und einen Anreiz zur Ver­wen­dung von Mehr­weg­sys­te­men zu set­zen. Für jede Einweggetränkeverpackung, jedes Ein­weg­ge­schirr­teil und jede sons­ti­ge Ein­weg­le­bens­mit­tel­ver­pa­ckung sind 50 Cent fällig sowie 20 Cent für jedes Ein­weg­be­steck-Set. Der Steu­er­satz pro Ein­zel­mahl­zeit ist auf maxi­mal 1,50 Euro begrenzt. Zur Ent­rich­tung der Steu­er sind die Endverkäufer ver­pflich­tet, die in den Ein­weg­ver­pa­ckun­gen Spei­sen und Getränke für den unmit­tel­ba­ren Ver­zehr an Ort und Stel­le oder zum Mit­neh­men aus­ge­ben. Die Ver­pa­ckungs­steu­er, die den Ver­brauch der Ein­weg­ver­pa­ckun­gen besteu­ert, wird zwar vom Endverkäufer erho­ben, sie ist aber auf Überwälzung auf den Ver­brau­cher ange­legt und soll die­sen ver­an­las­sen, auf Ein­weg­ver­pa­ckun­gen zu ver­zich­ten bzw. Waren in Mehrwegbehältnissen nachzufragen.

Die Fran­chise-Neh­me­rin des McDonald’s‑Schnellrestaurants in Tü­bin­gen hat gegen die Ver­pa­ckungs­steu­er­sat­zung Nor­men­kon­troll­kla­ge erho­ben mit dem Ziel, die Sat­zung für unwirk­sam erklären zu las­sen. Sie beruft sich auf ein Urteil des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts aus dem Jahr 1998, nach dem die von der Stadt Kas­sel 1991 ein­ge­führ­te Ver­pa­ckungs­steu­er auf Ein­weg­ver­pa­ckun­gen gegen das damals gel­ten­de Abfall­recht des Bun­des ver­stieß. Auch inhalt­lich ver­let­ze die Ver­pa­ckungs­steu­er ihre Berufs­frei­heit aus Art. 12 GG. Eine Wei­ter­ga­be der Steu­er an die Kun­den sei nicht möglich, da die­se ent­spre­chen­de Preis­stei­ge­run­gen nicht akzep­tie­ren und bei­spiels­wei­se in ein McDonald’s‑Restaurant eines ande­ren Fran­chise-Neh­mers in das benach­bar­te Reut­lin­gen aus­wei­chen würden.

Urteils­grün­de

Zur Begrün­dung sei­ner statt­ge­ben­den Ent­schei­dung führt der 2. Senat des VGH aus: Tü­bin­gen fehlt bereits die Kom­pe­tenz zur Ein­füh­rung der Ver­pa­ckungs­steu­er, da es sich nicht um eine örtliche Steu­er han­delt. Die Steu­er sei nach ihrem Tat­be­stand nicht auf Ver­pa­ckun­gen für Spei­sen und Getränke zum Ver­zehr an Ort und Stel­le begrenzt (wie die Kas­se­ler Ver­pa­ckungs­steu­er), son­dern erfas­se auch den Ver­kauf der Pro­duk­te zum Mit­neh­men. Damit sei nor­ma­tiv der örtliche Bezug der Steu­er – den die Gesetz­ge­bungs­kom­pe­tenz für örtliche Ver­brauchs- und Auf­wand­steu­ern nach Art. 105 Abs. 2 a GG vor­aus­set­ze – nicht aus­rei­chend sicher­ge­stellt und es sei nicht gewährleistet, dass der belas­te­te Kon­sum und damit der Ver­brauch der Ver­pa­ckung vor Ort im Gemein­de­ge­biet stattfänden. Bei Pro­duk­ten zum Mit­neh­men sei im Hin­blick auf ihre Transportfähigkeit – auch über größere Stre­cken – ein Ver­blei­ben im Gemein­de­ge­biet nicht gewährleistet.

Die abwei­chen­de Auf­fas­sung der Stadt Tü­bin­gen wür­de das Tor zur Ein­füh­rung aller möglichen Ver­brauch­steu­ern durch die Gemein­den eröffnen. Dies sei durch das Grund­ge­setz aber aus­ge­schlos­sen. Denn Ver­brauch­steu­ern sei­en Pro­duk­ti­ons­kos­ten der Wirt­schaft, die in einem ein­heit­li­chen Wirt­schafts­ge­biet eine ein­heit­li­che Steu­er­ge­setz­ge­bung not­wen­dig machen.

Die Ver­pa­ckungs­steu­er ste­he zudem in ihrer Aus­ge­stal­tung als Len­kungs­steu­er in Wider­spruch zum aktu­el­len Abfall­recht des Bun­des. Der Bun­des­ge­setz­ge­ber habe detail­lier­te Rege­lun­gen zur Ver­mei­dung und Ver­wer­tung der gesam­ten Palet­te an Verpackungsabfällen und damit auch der Ein­weg­ver­pa­ckun­gen, die Gegen­stand der Tü­bin­ger Ver­pa­ckungs­steu­er sei­en, getrof­fen. Er habe damit dar­Ã¼­ber ent­schie­den, mit wel­chen recht­li­chen Instru­men­ten die Zie­le der Abfall­ver­mei­dung und Abfall­ver­wer­tung ver­wirk­licht wer­den soll­ten, und damit gleich­zei­tig ins­be­son­de­re auch dar­Ã¼­ber, in wel­chem Umfang die Zie­le der Abfall­ver­mei­dung und Abfall­ver­wer­tung ver­folgt wer­den soll­ten. Danach han­de­le es sich beim Ver­pa­ckungs­ge­setz um ein geschlos­se­nes Sys­tem, das Zusatz­re­ge­lun­gen durch den kom­mu­na­len Gesetz­ge­ber ausschließe.

Auch der Vor­rang der Abfall­ver­mei­dung begrün­de für die Kom­mu­nen nicht die Zuständigkeit, die abfall­wirt­schaft­li­che Ziel­set­zung der Abfall­ver­mei­dung eigenständig „voranzutreiben“. Auch wenn das Ziel einer Redu­zie­rung des Ver­pa­ckungs­auf­kom­mens auf Grund­la­ge der bis­he­ri­gen Rege­lun­gen im Ver­pa­ckungs­ge­setz nicht (aus­rei­chend) erreicht wor­den sein soll­te, sei es Sache des Bun­des­ge­setz­ge­bers, für Abhil­fe zu sor­gen und das Rege­lungs­sys­tem des Ver­pa­ckungs­ge­set­zes fort­zu­ent­wi­ckeln. Etwai­ge Versäumnisse des Bun­des­ge­setz­ge­bers berech­tig­ten die Kom­mu­nen nicht dazu, des­sen Ent­schei­dun­gen in eige­ner Zuständigkeit zu „verbessern“.

Schließlich sei auch der Begriff der „Einzelmahlzeit“, für die eine Ober­gren­ze der Besteue­rung von 1,50 Euro gel­te, nicht aus­rei­chend vollzugsfähig und verstoße damit gegen den Grund­satz der Belas­tungs­gleich­heit in Art. 3 Abs. 1 GG. Die­se Sat­zungs­be­stim­mung sei auf Inef­fi­zi­enz ange­legt, da der steu­er­pflich­ti­ge Endverkäufer zur Bestim­mung der Ober­gren­ze der Besteue­rung allein auf die frei­wil­li­gen Anga­ben des Kon­su­men­ten abstel­len könne. Bei größeren Sam­mel­be­stel­lun­gen spre­che bei lebens­na­her Betrach­tung alles für ein Voll­zugs­de­fi­zit im Hin­blick auf die Gefahr wahr­heits­wid­ri­ger Erklärungen der Kon­su­men­ten. Wegen der enor­men ¶he der Besteue­rung und des damit ver­bun­de­nen star­ken Preis­an­stiegs für Spei­sen und Getränke lie­ge die Gefahr wahr­heits­wid­ri­ger Erklärungen der Kon­su­men­ten auf der Hand.

Die Revi­si­on wur­de zuge­las­sen. Die­se ist inner­halb eines Monats nach Zustel­lung des vollständigen Urteils ein­zu­le­gen (Az. 2 S 3814/20).

VGH Baden-Würt­tem­berg, Pres­se­mit­tei­lung vom 13.04.2022 zum Urteil 2 S 3814/20 vom 29.03.2022

UST-ID hier prüfen Kontakt