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Verfassungswidrigkeit der Abgeltungsteuer – Vorlage des Niedersächsischen FG an das Bundesverfassungsgericht

Der 7. Senat des Niedersächsischen Finanz­ge­richts hält die Vor­schrif­ten über die Abgel­tungs­teu­er in § 32d Abs. 1 des Ein­kom­men­steu­er­ge­set­zes (EStG) in Ver­bin­dung mit § 43 Abs. 5 EStG (Abgel­tungs­teu­er) für mit dem Gleich­heits­satz des Art. 3 Abs. 1 des Grund­ge­set­zes (GG) nicht ver­ein­bar und hat sie dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt zur Prü­fung vorgelegt.

Sach­ver­halt

Der Kläger erziel­te als selbständiger Ver­si­che­rungs­mak­ler gewerb­li­che Ein­künf­te, die mit sei­nem persönlichen Ein­kom­men­steu­er­satz – von über 25% – besteu­ert wur­den. Dane­ben erhielt er Kapi­tal­ein­künf­te in Form von ver­deck­ten Gewinn­aus­schüt­tun­gen aus meh­re­ren Betei­li­gun­gen an Kapi­tal­ge­sell­schaf­ten und von Zin­sen. Die­se wur­den mit dem abgel­ten­den Steu­er­satz i.H. von 25 % besteuert.

Im Rah­men einer Betriebs­prü­fung gelang­te das beklag­te Finanz­amt zu der Auf­fas­sung, dem Kläger sei­en Pro­vi­si­ons­zah­lun­gen zuzu­rech­nen, die bis­her einer ande­ren Per­son zuge­ord­net wor­den waren. Es erhöhte den gewerb­li­chen Gewinn – und damit die Ein­kom­men­steu­er – des Klägers entsprechend.

Hier­ge­gen wand­te sich der Kläger mit sei­ner Kla­ge und trug vor, die Pro­vi­sio­nen sei­en ihm zu Unrecht zuge­rech­net wor­den. Außerdem sei bei der Ermitt­lung sei­ner Ein­künf­te aus Kapitalvermögen der Ansatz des Spa­rer-Frei­be­tra­ges unterblieben.

Wesent­li­che Erwägungen des Senats

Der zuständige 7. Senat folg­te der Auf­fas­sung des Klägers und hielt die Erhöhung des Gewinns für unzu­tref­fend. Das beklag­te Finanz­amt habe die Zurech­nung der Pro­vi­sio­nen an den Kläger nicht nach­voll­zieh­bar bele­gen können. Auch sei der Spa­rer-Frei­be­trag zu Unrecht nicht berück­sich­tigt worden.

Den­noch hat die Kla­ge (der­zeit) kei­nen Erfolg, da die gegenü­ber dem Kläger fest­ge­setz­te Steu­er auf die Kapi­tal­ein­künf­te nach recht­li­cher Auf­fas­sung des 7. Senats zu nied­rig ist.

Der Senat gelang­te zu der Überzeugung, dass die Anwen­dung der Abgel­tungs­teu­er, also der Ansatz des abgel­ten­den Steu­er­sat­zes i.H. von 25%, auf die Kapi­tal­ein­künf­te zwar auf Grund­la­ge der gel­ten­den Geset­zes­la­ge zutref­fend erfolgt sei, die zugrun­de lie­gen­den Vor­schrif­ten aber gegen die in Art 3 Abs. 1 GG ver­an­ker­te Vor­ga­be der Gleich­be­hand­lung aller Ein­kunfts­ar­ten und einer gleichmäßigen Besteue­rung nach der indi­vi­du­el­len Leistungsfähigkeit verstoßen und daher ver­fas­sungs­wid­rig seien.

Die Abgel­tungs­teu­er füh­re zu einer Ungleich­be­hand­lung zwi­schen Bezie­hern pri­va­ter Kapi­tal­ein­künf­te und den üb­ri­gen Steu­er­pflich­ti­gen. ¤hrend die Bezie­her von Kapi­tal­ein­künf­ten (nach § 32d Abs. 1 EStG in Ver­bin­dung mit § 43 Abs. 5 EStG) mit einem Son­der­steu­er­satz von 25 % abgel­tend belas­tet wer­den, unter­lie­gen die üb­ri­gen Steu­er­pflich­ti­gen gemäß § 32a EStG einem Steu­er­satz von bis zu 45 %.

Die in den Geset­zes­ma­te­ria­li­en genann­ten Recht­fer­ti­gungs­grün­de genüg­ten den ver­fas­sungs­recht­li­chen Anfor­de­run­gen nicht. Wei­te­re Recht­fer­ti­gungs­grün­de sei­en nicht ersichtlich.

Die Abgel­tungs­teu­er sei nicht zur Ver­wirk­li­chung eines effek­ti­ven Steu­er­voll­zugs oder zur Besei­ti­gung eines etwai­gen struk­tu­rel­len Voll­zugs­de­fi­zits geeig­net. Unabhängig von der Fra­ge der grundsätzlichen Geeig­net­heit der Rege­lung sei die Erfor­der­lich­keit zwi­schen­zeit­lich ent­fal­len, da sich seit dem Inkraft­tre­ten der Abgel­tungs­teu­er die ¶glichkeiten der Finanz­ver­wal­tung, im Aus­land befind­li­ches Vermögen zu ermit­teln, stark ver­bes­sert hätten.

Die Abgel­tungs­teu­er sei weder zur Standortförderung des deut­schen Finanz­plat­zes geeig­net noch füh­re sie zu einer wesent­li­chen Ver­ein­fa­chung im Besteuerungsverfahren.

Ent­spre­chend der sich aus Art. 100 Abs. 1 GG erge­ben­den Ver­pflich­tung hat der 7. Senat das Kla­ge­ver­fah­ren daher aus­ge­setzt und holt die Ent­schei­dung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts dar­Ã¼­ber ein, „ob § 32d Abs. 1 EStG in Ver­bin­dung mit § 43 Abs. 5 EStG in den in den Jah­ren 2013, 2015 und 2016 gel­ten­den Fas­sun­gen inso­weit mit Art. 3 Abs. 1 des Grund­ge­set­zes (GG) ver­ein­bar sind, als dass sie für Ein­künf­te aus pri­va­ten Kapitalerträgen einen Son­der­steu­er­satz in ¶he von 25 % mit abgel­ten­der Wir­kung vorsehen“.

Hin­ter­grund

Seit dem 1. Janu­ar 2009 wer­den Ein­künf­te aus Kapitalvermögen, also z.B. Zin­sen, Divi­den­den und rea­li­sier­te Kurs­ge­win­ne, mit einem Ein­kom­men­steu­er­satz von 25 % ver­steu­ert. Hin­zu kom­men u.U. der Solidaritätszuschlag und ggf. Kirchensteuer.

Die Ein­kom­men­steu­er wird von dem jewei­li­gen Gläubiger der Ein­nah­men aus Kapitalvermögen, ins­be­son­de­re also von den Ban­ken, als Kapi­tal­ertrag­steu­er „an der Quel­le“ ein­be­hal­ten und direkt an das Finanz­amt abgeführt.

Für die Steu­er­pflich­ti­gen ist die Ein­kom­men­steu­er­schuld mit dem Abzug der Kapi­tal­ertrag­steu­er grundsätzlich abge­gol­ten. Es han­delt sich um eine „Abgel­tungs­teu­er“. Die abge­führ­te Steu­er stellt also – anders als früher – kei­ne Vor­aus­zah­lung auf die persönliche Ein­kom­men­steu­er dar. Die Steu­er­pflich­ti­gen müs­sen die ent­spre­chen­den Kapi­tal­ein­künf­te nicht mehr in der Steuererklärung ange­ben, auch wenn der persönliche Ein­kom­men­steu­er­satz über 25 % liegt.

Liegt der persönliche Ein­kom­men­steu­er­satz jedoch nied­ri­ger als 25 % können die Steu­er­pflich­ti­gen zu viel gezahl­te Abgel­tungs­teu­er vom Finanz­amt zurück­for­dern. Hier­zu müs­sen die Kapitalerträge in der Steuererklärung beim Finanz­amt ange­ge­ben wer­den, damit die­ses eine Güns­ti­ger­prü­fung vornimmt.

Geschaf­fen wur­de die Abgel­tungs­teu­er von der dama­li­gen Regie­rungs­ko­ali­ti­on aus SPD und Grü­nen, Deutsch­land als Finanz­platz attrak­ti­ver zu machen und Steu­er­hin­ter­zie­hung zu bekämpfen. Sei­ner­zeit exis­tier­ten kei­ne ¶glichkeiten, um die Besteue­rung von Kapi­tal­ein­künf­ten, die in Deutsch­land Steu­er­pflich­ti­ge im Aus­land erziel­ten, sicher­zu­stel­len. Die Ver­min­de­rung des Steu­er­sat­zes auf 25 % soll­te den Anle­gern einen Anreiz geben, ihr Geld in Deutsch­land anzu­le­gen und zu ver­steu­ern. Der dama­li­ge Bun­des­fi­nanz­mi­nis­ter Peer Stein­brück brach­te die Geset­zes­in­ten­ti­on mit dem Satz auf den Punkt: „Lie­ber 25 % auf x als 42 % auf nix“. Außerdem soll­te sich durch die Abgel­tungs­teu­er eine Ver­ein­fa­chung des Besteue­rungs­ver­fah­rens für die Steu­er­pflich­ti­gen ergeben.

FG Nie­der­sach­sen, Pres­se­mit­tei­lung vom 31.3.2022 zu Beschluss vom 18.3.2022, 7 K 120/21

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